Der Radfahrer als Rüpel

Die Presse hat augenscheinlich im Moment nichts zu berichten, so dass eine Sau gesucht wird, die durchs Dorf getrieben wird. Und die Fahrradfahrer sind da immer dankbare “Opfer”. Dankbar insofern als sie eine in der Öffentlichkeit so gut wie nicht vorhandene Lobby haben und dagegen die breite Stammtischfront der Autofahrer steht.

Da werden auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar (hat der eine gesetzgebende Wirkung?) strengere Strafen für Rüpel-Radler gefordert. Und wahrscheinlich ziemlich überraschend für die versammelte Expertenschaft bin ich als überzeugter Fahrradfahrer völlig einer Meinung. NW-News: Experten wollen strengere Strafen für Rüpel-Radler
… “Kaum ein Radler fährt mit vorgeschriebener Beleuchtung, kaum ein Radler kümmert sich um Fahrtrichtung oder um Ampeln.” In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov sprachen sich 82 Prozent der Deutschen für mehr Polizeikontrollen und teurere Strafen für Rüpel-Radler aus. Als Autofahrer fühlten sich 81 Prozent bedroht, wenn Radfahrer ohne Licht fahren, rote Ampeln missachten und falsch in Einbahnstraßen einbiegen würden …
Ist das die Grundlage dieser Forderungen? Eine Umfrage zu dem Thema? Eine Sammlung subjektiver Eindrücke? Meine Damen und Herren, ich bin beeindruckt, von so viel wissenschaftlicher Herangehensweise. Wie wäre es denn, wenn man einfach die Berichterstattung der ihnen wohlgesonnenen Behörden zu Rate zieht? Die stellt nämlich in groß angelegten Kontrollen regelmäßig fest, dass weniger als 10% der kontrollierten Radfahrer ohne oder evtl. nur mit mangelhafter Beleuchtung unterwegs sind. Das dürfte ungefähr der gleiche Prozentsatz sein, der auch bei den motorisierten Fahrzeugen defekt unterwegs ist.


Taxi parkt quer auf Radweg und die Fahrerin meckert mich an, weil ich vorbei will.
Es wäre so unbequem in der freien Parkbucht zu parken.

Wie gesagt, der Forderung nach Ahndung stimme ich vollständig zu. Mir gehen die Geisterfahrer jeden Morgen derbe auf den Keks und ich sehe unbeleuchtete Radfahrer ebenfalls schlechter – auch wenn ich gestern im Auto wieder festgestellt habe, dass ich ganz offensichtlich unbeleuchtete Personen am Wegesrand eher wahrnehme als andere. Meine beiden Mitfahrerinnen juchzten jedenfalls erschrocken auf, als wir auf einem schmalen, schneebedeckten Weg einen Fußgänger mit Hund passierten, der ihnen in dem Augenblick erst aufgefallen ist, während ich ihn schon lange vorher gesehen hatte. Alles eine Frage der Wahrnehmung und des Achtens. Trotzdem ist Beleuchtung am Rad unverzichtbar, auch wenn die Begründung des Expertenkreises “Kaum ein Radler fährt mit vorgeschriebener Beleuchtung, kaum ein Radler kümmert sich um Fahrtrichtung oder um Ampeln.” an dämlichem Stammtischgerede natürlich nicht zu überbieten ist. In der gleichen Ausgabe der NW steht übrigens ein sehr guter Kommentar von Matthias Bungeroth zu dem Artikel – erwähnte ich auf Twitter schon, finde ihn aber online nicht. Die Leserkommentare online sind – überraschenderweise – auch eher meiner Meinung.


Der Fahrer des Wagens parkte einfach mitten auf der Fahrbahn, stieg aus und
ging sich ein Brötchen kaufen. Passiert übrigens jeden Morgen.

Umso ärgerlicher ist, dass die Polizei in das gleiche tumbe Horn tutet, meiner Erfahrung nach aber exakt genau gar nichts tut. Weder gegen die gescholtenen Geisterfahrer, noch gegen die tatsächlichen Ursachen für Unfälle mit Radfahrern. In der heutigen NW berichtet wieder mal Polizeioberrätin Inke Pfeiffer über die Probleme mit Radfahrern im Kreis Neue-Westfälische (Druckausgabe): Polizei will verstärkt blitzen
Polizeioberrätin Inke Pfeiffer, Leiterin der Direktion Verkehr, merkte zu den Schulwegunfällen von Kindern an, dass die meisten Opfer mit dem Rad unterwegs gewesen seien. In Minden sei ohnehin zu beobachten, dass jeder dritte Verunglückte ein Radfahrer sei. Dabei sei in 30 Prozent der Fälle die Wahl der falschen Straßenseite die Unfallursache.
Und die anderen jeweils 70% Frau Pfeiffer? Sind das vielleicht die von Ihnen – nicht im Zusammenhang mit Radfahrern erwähnten – Abbiegeunfälle, bei denen Fahrradfahrer von unaufmerksamen Autofahrern auf den Radwegen umgemäht werden? Oder sind es diejenigen Autofahrer, die aus Seitenstraßen kommend nicht auf Fahrradfahrer achten? Und wie erklärt Frau Pfeiffer den Autofahrern, die unsägliche linksseitige Benutzungspflicht von Radwegen und wie man das aus dem Auto heraus erkennen soll? Sowas passt natürlich nicht ins Bild und ich habe schon Polizeikontrollen beobachtet, in denen Radler kontrolliert wurden, die direkt an der Kreuzung quer über den Radweg stehenden Autofahrer aber nicht behelligt wurden. Im Westfalenblatt wird Frau Pfeiffer denn auch deutlicher Westfalen-Blatt: Polizei will gezielt gegen jugendliche Raser und renitente Radfahrer vorgehen
… »Fahrradfahrer haben oft Probleme mit dem Einhalten der Straßenverkehrsordnung
«, sagte Polizeioberrätin Inke Pfeiffer. Dazu kommt, dass Radfahrer sehr verletzlich sind, da immer noch die wenigsten einen Helm tragen.
Ich muss brechen. Da wird schon ziemlich deutlich gesagt, was die Polizei von Radfahrern hält. Ein Haufen undisziplinierter Menschen, die Probleme mit Regeln haben. Meine Wahrnehmung – abseits der Geisterradler – ist jeden Morgen eine gänzlich andere. Und natürlich liegt alles nur am Helm, wenn ich den aufsetze, kann mir gar nichts mehr passieren.


Wenn der Sprit billig ist, dann müssen Radfahrer zurück stecken, damit der
benutzungspflichtige Radweg als Parkfläche benutzt werden kann.
Und der Pizzadienst wartet, bis er endlich durch kann.

Frau Pfeiffer ist übrigens die Dame, die mir im Ausschuss für Stadtwentwicklung mal erzählte, innerorts dürften auch LKWs die Fahrspur frei wählen und müssten sich nicht grundsätzlich rechts halten und die nach dem tödlichen Unfall auf der Mindener Straße meinte, man könne dort keine LKW blitzen, weil man diese dann auch direkt anhalten müsse – und das ginge ja gar nicht!

Ich finde es wichtig, dass Regelverstöße geahndet werden. Auch bei Fahrradfahrern. Das wird aber exakt gar nichts an den Ursachen der Unfälle ändern, wenn es wie angekündigt nur bei den Radfahrern passiert. Denn meinem subjektiven Empfinden nach, ist das Klima auf den Straßen in den letzten beiden Jahren deutlich zu ungunsten der Radfahrer gekippt und ich kann dafür tatsächlich keinen anderen Grund als die miese Pressearbeit ausmachen. Geschürt von Polizei und solchen Gerichtstagen, aus denen dann als Essenz lediglich die Stammtischparolen veröffentlicht werden. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Problemen oder gar der Hinweis auf die Straßenverkehrsordnung §2, Abs. 4 erfolgt öffentlich viel zu wenig.

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